Modernitätstest mit Gütesiegel
Das Prager Kammerorchester und die MOZARTBAND holten die Musik des Salzburgers in die Gegenwart
BAD KISSINGEN: Doch, das könnte es sein. Das könnte eine Möglichkeit sein, junge Leute für Klassik, und vor allem für Gesang zu begeistern, was das Prager Kammerorchester und die Wiener Mozartband am Donnerstag Abend im Großen Saal aufgeführt haben.
Aber zunächst einmal zum Prager Kammerorchester. Das ist ein Ensemble, das zum ersten Mal in Bad Kissingen zu hören war, und man möchte sagen: leider. Denn es ist in der Szene doppelt herausragend: nicht weil es ohne Dirigenten spielt – das tun andere auch. Sondern weil es in einer relativ großen Besetzung mit starkem Streicherapparat und doppelt besetztem Bläsersextett auftritt entsprechend der frühklassischen Traditionen. Und weil es trotz der großen Zahl eine ungewöhnliche Homogenität und Kantenschärfe erreicht. Freilich ist Antonin Hradil, einer der beiden Konzertmeister des Orchesters, ein Geiger, der außerordentlich markant und nachvollziehbar spielt und den Laden zusammenhalten kann.
Vor allem sind alle Musiker hochrangige Solisten mit Durchsetzungswillen. Das heißt, dass die Prager nicht, wie viele Orchester, die ohne Dirigenten spielen, defensiv musizieren, weil einer sich absichernd auf den anderen wartet und die Interpretationen dadurch abflachen. Und so wurden die Sätze, die sie aus Mozarts Serenaden und frühen Sinfonien spielten, außerordentlich frisch, farbig und zupackend stark rhythmisch grundiert. Das ließ ein wenig ahnen, wie modern Mozart eigentlich war und was gemeinsam mit der Mozartband auf das Publikum zukommen würde. Blieb der 1.Satz aus dem Oboenkonzert KV 314 (Solist Zdenek Ries) noch im Rahmen des Hochrangig-Erwarteten, so blies Milan Bolak ein geradezu überwältigendes Solo im zweiten Satz des Klarinettenkonzertes KV 622.
Und dann – tatsächlich eine Weltpremiere – die erste Begegnung des Prager Kammerorchesters mit der Mozartband, allerdings zunächst nur mit einem Trio aus Akkordeon (Wolfgang Staribacher), Violine (Toni Burger) und Viola (Andrew Jezek). Es war zunächst ein Abtasten im ersten Satz der Symphonie Nr.13, als das Trio sozusagen in die Durchführung eingriff und nicht nur starke rhythmische Elemente und thematische Verfremdungen ins Spiel brachte. Wesentlich deutlicher wurde im Zusammenspiel der gesamten Band mit dem Orchester – zusätzlich Nici Walde (Fagott), Robert Pistracher (Bass) und Yogo Pausch (Schlagzeug) – dass die Herübernahme der Mozartschen Vorgaben in den Jazz nicht nur eine legitime, sondern auch logische ist, weil sich hier die Rhythmusbetontheit und Improvisation finden, die schon bei Mozart wesentliche Elemente waren. So klar war das bisher eigentlich nicht.
War die Gegenüberstellung von Original und Interpretation im ersten Teil noch ein bisschen didaktisch aromatisiert, so betrat der zweite Teil ein völlig neues Fahrwasser. Spannend war schon das Zusammenwirken der beiden Stimmen: die klassisch ausgebildete Mezzosopranistin Yasmine Piruz und der vom Blues und Rock herkommende Tenor Christian Wolf sangen Mozarts Arien aus „Il re pastore“, „La finta giardiniera“ und „Cosí“ in völlig neuem Timbre, mit völlig neuer Leidenschaftlichkeit und Intensität, dass sogar das Kissinger Publikum das Husten vergaß. Da schwangen unglaublich viele Emotionen mit, Verletzlichkeit, Stolz, Trauer, Wut, wie sie die klassischen Interpretationen nur in Glücksfällen vermittelt können.
Und dazu eine Musik von sechs fabelhaften Virtuosen, wie sie farbiger, verfremdeter, effektvoller, emotionaler, spontaner nicht sein kann. Plötzlich war die Band im Jazz, plötzlich war sie im Blues, plötzlich war sie im Rock und gelegentlich in der Volksmusik – und doch war es bei aller eigenen Handschrift immer Mozart.
Auf einen derart geistreichen, kreativen, mitreißenden, zeitgemäßen Umgang mit der Musik des jungen Salzburgers muß man erst einmal kommen. Dem Wolferl hätte seine Musik in dieser Form – trotz missbilligender Blicke seines gestrengen Vaters Leopold – ganz bestimmt sakrisch gut gefallen. Dem frenetischen Beifall des Publikums merkte man den schock eines viel zu frühen Konzertendes deutlich an.
7.1.06, Thomas Ahnert, Saale-Zeitung