Der Groove des Meisters

Die musikalischen Hintergründe der Mozartband
Von Wolfgang Staribacher

DIE IDEE

kam mir, als ich zum erstenmal Mozarts 12. Symphonie hörte, 4. Satz, Prague Chamber Orchestra mit Charles MacKerras. Ich werde diesen Moment nie vergessen: Hochsommer in Italien, Strohzelt, Walkman, rund um mich zwei Dutzend Mozart-CDs. Wie der da in den frühen Symphonien teilweise am Rock’n’Roll vorbeigroovte, fand ich unglaublich.

Ich begann, ein paar Allegretto-Sätze auf meiner Ziehharmonika zu spielen. Das ging überraschend gut. Mit den Helikonbässen meines Akkordeons konnte ich, nachdem ich eine neue Grifftechnik entwickelt hatte, die steady Achtelbässe gut swingen. Das Musetteregister im Diskant deckt die Geigenlage perfekt ab und liefert einen breiten, orchesterähnlichen Klang.
Ich hörte nur mehr Mozart und begann langsam, seine Musik zu verstehen. Jetzt konnte ich mich auf die Suche nach Mitmusikern machen. Das hochgesteckte Ziel: Mozart zu spielen mit Respekt vor seiner Tonsprache und seinen Melodien, aber mit allen Freiheiten von Form, Arrangement, Groove und Sound, die das Original zuläßt, vielleicht sogar braucht.

DIE ENTSTEHUNG DER BAND

Die Musiker für so einen Crossover zu finden war schwierig. Über die Jahre, während die Mozartband langsam vom Duo über ein Quintett zum 10köpfigen Ensemble wuchs, arbeiteten wir mit über 70 Instrumentalisten und 30 Sänger/innen zusammen. Seit 3 Jahren steht die Band nun fest, sie besteht aus großartigen Cats: klassische Musiker, die aber auch stilsicher improvisieren, Rockmusiker mit einem großen Mozartverständnis, alles Grenzgänger zwischen den Stilen mit Einflüssen aus Jazz, Volksmusik und Ethno.

CROSSOVER ODER MOZART?

Mozart selbst hat viele Einflüsse verarbeitet und zu seinem Stil verschmolzen.
Die Verschmelzung von klassischer Musik und anderen Musikstilen ist aber irgendwie noch kaum geglückt. Bei Uri Caine oder Jacques Loussier zum Beispiel hört man immer genau, wo die Klassik aufhört und der Jazz beginnt, an der Schnittstelle von Klassik und Jazz ist immer ein Bruch.

TONSPRACHE UND GEFÜHLSWELTEN

Den Kern eines gelungenen Crossovers, das hat sich auch bei der Mozartband immer wieder bestätigt, bildet ein genaues Verstehen der jeweiligen Tonsprachen, vor allem ihrer Melodik und Harmonik. In dem schmalen Überdeckungsbereich entsteht dann etwas, das nicht zuortbar ist, etwas Eigenes.
Mich haben immer Musiker fasziniert, die eine eigene Tonsprache geschaffen haben, und mit den Alpinkatzen ist mir das erstmal selbst geglückt. Dabei ist mir ein interessantes Phänomen aufgefallen:. Wenn zwei Musikstile so gut gemerged werden, dass beide gleichzeitig miteinander spürbar sind, dann sind auch die in den jeweiligen Musikstilen liegenden Assoziationen und Stimmungen gleichzeitig spürbar. Wenn diese sehr unterschiedlich sind, hinterläßt man beim Zuhörer einen verwirrenden Mix vermeintlich unvereinbarer Gefühle und Bilder.

DIE ANALYSE DER MOZARTISCHEN TONSPRACHE

versuchte ich über das Progressions- und Patternsystem des Modern Jazz. Es muß zwar diametral umgekehrt gesehen werden, denn die Wurzeln liegen bei Mozart nicht im Blues, sondern in Bach und der österreichischen Volksmusik. Statt Tensions wird Spannung durch Vorschläge erzeugt, die Progressionen gehen in die andere Richtung des Quintenzirkels usw.
Aber diese Jazzsicht ermöglicht einen offenen, einfachen und improvisationstauglichen Zugang zu Mozarts Universum, zumindest zu einem Teil davon.

IMPROVISATION UND NOTATION DES ORIGINALS

Die erwähnten Stimmungswelten verschiedener Musikstile und ihre Gegensätze nehme ich als Musiker nicht so wahr, wenn ich selbst in der Fusion arbeite. Wahrnehmbar wird jedoch beim Crossover von Klassik und modernen Musikstilen ein Maß an Freiheit, an Kreativität. Die strenge Notation des Originals erlaubt höchste Musikalität in der Komposition. Im Jazz und in der Rockmusik ist aber mehr Platz für die Kreativität des ausübenden Musikers, für Improvisation. Ein ganz anderes Musiziergefühl, das der rechten Gehirnhälfte zugeordnet wird (Notenlesen der linken).
Wenn eine Melodie und die ihr zugehörigen Harmonien sosehr vom Unterbewußtsein aufgenommen wurde, daß das Ohr und die Finger bereit sind, sie jederzeit zu verlassen und auch jederzeit zurückzukehren – das ist eine faszinierende Möglichkeit kontrollierter Ekstase. Davon lebt der Jazz und alle improvisierte Musik, in der Klassik ist das praktisch verschwunden.
Mozart selbst war ja ein begnadeter Improvisator, “das Fantasieren” nannte er seine “liebste Beschäftigung”!

Um Platz zu schaffen für die Kreativität der Musiker, muß die komplexe Musik Mozarts vereinfacht werden. Oft sind es Mozarts volksmusikalische Wurzeln, die eine musikalisch schlüssige Reduktion ermöglichen.

INSTRUMENTIERUNG, VERSTÄRKUNG, SOUNDBILD DER MOZARTBAND

Der größte Unterschied zwischen modernen Musikstilen und Mozarts Kompositionen liegt in der Verwendung einer Rhythmusgruppe, Drums und Baßgitarre. Wir wollten diese rhythmischen Möglichkeiten teilweise nutzen. Dazu mußten wir erst die leisen klassischen Instrumente, Streicher, Fagott und das Akkordeon entsprechend verstärken. Unsere Vision war, den charakteristischen Naturklang dieser Instrumente zu erhalten, aber auch die verstärkte Klangwelt des Rock mit seinen verzerrten Sounds zu integrieren. Wir haben lang an diesem Sounddesign gefeilt, Geräte selbst gebastelt oder in Auftrag gegeben, exotische Teile übers Internet aufgetrieben.

Unsere Streicher – Geige und Bratsche – haben auch eine wichtige rhythmische Funktion in der Mozartband. Die Streichinstrumente werden mit Piezo-Abnehmern über Gitarrenamps und -speaker verstärkt. Diese direkte Abnahme bringt den Bogenstrich sehr perkussiv zur Geltung. Im leichten Overdrive kann die Geige aber auch wie eine E-Gitarre klingen. Tatsächlich glaubt niemand, daß das Solo von “Chi Mai” auf einer Violine gespielt ist.

Das Fagott stellte die größte Herausforderung dar, weil es ein sehr leises Instrument ist. Mit extrem naher Mikrofonabnahme, Feedbackunterdrückung durch Sidechain-Trigger und speziell entwickelten Volumes-Fußtasten war das Fagott dann laut genug, auch als Soloinstrument über einer Rockgroove. Die große Beweglichkeit des Fagotts in allen Lagen wird jetzt exzellent hörbar, Assoziationen zu einem Baritonsaxophon tauchen auf, auch zu Cello oder Horn.
Das Akkordeon, das ich fast immer im dreichörigen Musetteregister spiele, bettet die einzeln besetzten Streicher in einen schwebenden Ensemblesound ein. Das Akkordeon ist in der Mozartband ein wichtiger Vermittler zwischen den klassischen Klängen und den Rocksounds.

Meine Hammondorgel habe ich so modifiziert, daß sie immer leicht verzerrt und dreckig klingt, ein bißchen wie eine Metal-Rhythmusgitarre.

Umgekehrt der Ansatz für die Drums: es galt, leichte, luftige Sounds und Rhythmuspatterns zu finden, die die schnellen Geigenläufe und subtilen Phrasierungen unterstützen und nicht zudecken. Wir arbeiten daher viel mit Beserln oder Soft Sticks. Und mit 2 Drummern – 2 Schlagzeuger schwingen miteinander sanfter als einer allein.

Beim E-Baß verwenden wir für originale Allegrogrooves ohne Drums einen halbakustischen Baß. Die Saiten werden mit einem Band am Steg gedämpft. So mischt sich der Baß gut zu Violine und Bratsche, das fehlende Cello geht nicht ab. Langsame Sostenuto-Bässe spiele ich mit den Helikonbässen des Akkordeons über einen Bassamp.

DIE KREATIVE ARBEITSWEISE DER MOZARTBAND

Einerseits spielen wir Mozart original aus den Partituren, tauschen, modifizieren Stimmen, improvisieren über die Akkordfolgen, verändern die Form. Andere Songs entstehen, indem wir nur einzelne Melodien oder Melodieteile nehmen, dazukomponieren, in einer Session darauf etwas aufbauen, ein Baßriff, Drumgrooves, Fagottlinien. Eher wie eine Rockproduktion, aber mit mehr Platz für Improvisation.
Der Probenprozeß, der bei uns bandmäßig “demokratisch” abläuft, ist ein ziemlich anarchisches Forum musikalischer Geschmacksdiskussionen. Interessanterweise spielt dabei die Herkunft der Musiker (aus E- oder U-Kultur) keine Rolle mehr. Die z. T. sehr verschiedenen musikalischen Standpunkte und Arbeitsweisen sind zu einer gemeinsamen Auffassung gewachsen, wie diese Band Mozart interpretieren muß.

DIE AUFNAHME VON “SOUL”

Sehr wichtig dafür war die Aufnahme unserer ersten CD, “Soul”. Wir sind alle mit dem Ergebnis sehr zufrieden, nach einer harten, erfahrungsreichen Produktionszeit von fast 2 Jahren. (Das Ergebnis des ersten Jahres haben wir komplett weggeschmissen).
Völlig offen war lange, wie wir grundsätzlich produzieren sollten. “Soul” nahmen wir dann so auf, dass fast alles gleichzeitig eingespielt wurde. Wegen der Spurentrennung mußten wir sämtliche Nebenräume verkabeln (einmal dröhnte es gleichzeitig aus 9 Zimmern), Pult-Routing und Peripherie waren mit unserer doch nicht kleinen Band am Limit und nach ewigen Soundchecks mußten sich alle plötzlich gleichzeitig auf die teilweise virtuose Mozartmusik fokussieren.
Diese Herausforderung konnte die Mozartband nur meistern mit der Unterstützung des Nili, die immer im richtigen Moment die Suppe auf den Tisch gestellt hat. Mehr dazu lesen Sie in unserer zweiten Folge mit dem Titel “Die Mozartband, ihre Ernährung und Fortpflanzung”.

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